Interview mit Dr. Thomas Schlegel - dem neuen Direktor von midi
Pfarrer Dr. Thomas Schlegel wird neuer Direktor der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi)
Als Kirchenbezirk sind wir seit über 10 Jahren mit Dr. Thomas Schlegel im Kontakt. Er hat den Dekanatskonvent besucht und geschult. Außerdem ist er dabei den gegenwärtigen Strategieprozess für uns wissenschaftlich auszuwerten und uns damit die nächste Schritte in die Zukunft zu erleichtern.
Der Theologe wurde einstimmig vom Kuratorium der Arbeitsstelle gewählt, die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Diakonie Deutschland und der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD) getragen wird. Dr. Schlegel, der bislang im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tätig ist, tritt seine neue Stelle in Berlin am 1. Juni 2025 an. Er folgt auf Dr. Klaus Douglass, der in den Ruhestand geht.
Hierzu Dr. Michael Diener, midi-Kuratoriumsvorsitzender und Mitglied im Rat der EKD: „midi ist eine echte Erfolgsgeschichte von Diakonie Deutschland, EKD und AMD. Ich freue mich, dass wir mit Dr. Thomas Schlegel einen ausgezeichneten Nachfolger für Dr. Klaus Douglass gewinnen konnten, der mit seiner großen Erfahrung in Kirchenentwicklung und Teamführung die vielfältige Arbeit, besonders an der Schnittstelle von Diakonie und Kirche, weiter vertiefen und konzentrieren wird.“
Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland sagt: „Kirche und Diakonie haben nicht nur gemeinsame Gene, sondern auch eine gemeinsame Zukunft. An dieser Schnittstelle kommen von midi wertvolle Impulse. Bei Dr. Thomas Schlegel wissen wir dieses wichtige Arbeitsfeld in besten Händen.“
Dr. Thomas Schlegel äußerte zu seiner Wahl: „midi bringt die richtigen Themen zusammen, verfügt über ein exzellentes Team und ist sehr gut vernetzt: die besten Voraussetzungen, um die Zukunft mitzugestalten – erkennbar profiliert in Diakonie und Kirche. Ich freue mich und bin gespannt auf die neue Aufgabe.“
Am 22. Mai 2025 um 16 Uhr wird Dr. Thomas Schlegel im Rahmen eines Gottesdienstes in Berlin in sein neues Amt als Direktor eingeführt und Dr. Klaus Douglass aus seinem Dienst verabschiedet.
Zur Person
Kirchenrat Dr. Thomas Schlegel, geboren 1973 in Weimar, leitet derzeit das Referat Gemeinde und Seelsorge im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland (EKM) und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Martin-Luther-Universität Halle. Zuvor leitete er acht Jahre lang die „Erprobungsräume“ der EKM, ein Programm zur Förderung anderer Gemeindeformen. Nach dem Vikariat in München war Thomas Schlegel Landpfarrer in Biberschlag (Thüringen), wissenschaftlicher Mitarbeiter am IEEG (Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung) in Greifswald und Referent am EKD-Zentrum für Mission in der Region. Er studierte in Jena und Pietermaritzburg (RSA) Theologie und Philologie und wurde mit einer Arbeit zu Karl Barths Theologiebegriff promoviert. Sein Interesse gilt besonders der Kirchenentwicklung in peripheren Räumen und dem christlichen Zeugnis in der Säkularität.
Dr. Thomas Schlegel sprach auch als Gast bei der Frühjahrssynode der Badischen Landeskirche. Anbei das Interview:
Freiheit, Kirche an unerwarteten Orten neu zu erfinden und kirchliche Arbeit um die Ecke zu denken, wünscht sich Dr. Thomas Schlegel. Er meint, Strukturveränderungen allein führen in eine Sackgasse. Das hat er bei seiner Landeskirche, der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), hautnah miterlebt. Acht Jahre lang war er für das Programm zur Förderung anderer Gemeindeformen (Erprobungsräume) der EKM verantwortlich. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen. Im April 2025 war er zu Gast bei der Badischen Landessynode.
Die mitteldeutsche Kirche ist der badischen Kirche voraus – was die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung angeht. Verändert sich eine Kirche erst, wenn sie sich massiv bedroht fühlt?
Thomas Schlegel: Es muss spürbar und offensichtlich sein, dass die Pfade, die man bisher beschritten hat, nicht mehr zielführend sind. Wünschenswert wäre natürlich, dass die Landeskirchen, die noch genügend Ressourcen haben, sich darauf einstellen. Ob das notwendige Bewusstsein für den radikalen Wandel da ist, solange es einem noch gut geht, bezweifle ich allerdings.
Welche leidigen Erfahrungen hat die EKM gemacht?
Thomas Schlegel: Bei uns in der mitteldeutschen Kirche hat es wenig gebracht, allein die Strukturen anzupassen. Seit den 1990er Jahren sind wir kontinuierlich dabei zurückzubauen. Diese Debatten entwickeln ein starkes Eigenleben und können wahnsinnig beschäftigen. Die Hoffnung war immer, dass wir dann, wenn wir unsere Organisation konsolidiert haben, endlich inhaltlich und in Ruhe arbeiten können. So lange haben wir den Fokus auf die Organisation, die das erfordert, in Kauf genommen und manch pastorale Tätigkeit zurückgestellt. Leider hat sich die Hoffnung nicht bewahrheitet. Die Anpassungsprozesse haben uns kontinuierlich in Atem gehalten – und die Atempause kam nicht.
Wie sehen die Konsequenzen aus?
Thomas Schlegel: A) Die Vorstellung, dass man „noch diese eine Sparrunde aushalten müsse“ und dann (wie früher) weiterarbeiten könne, entpuppt sich als Illusion. Anpassung zieht weitere Anpassung nach sich, weil der Trend dahinter das Problem ist – zu diesem stoßen wir in den Diskussionen oft gar nicht vor.
B) Die Strukturveränderungen müssen gemanagt werden – bitte möglichst geräuschlos und hintergründig. Denn die „normale“ kirchliche Arbeit braucht Aufmerksamkeit! Wer erst wieder Menschen besuchen kann, sobald die Sparrunden durch sind, wird das wohl lange nicht mehr tun können.
C) Daneben muss Kirche ein zweites Gleis legen; neue Logiken ausprobieren – außerhalb des Systems! Gemeinhin nennen wir das Innovation.
D) Die „workload“ ist in diesen Jahren des Umbaus um einiges höher: Strukturanpassung ohne zusätzliche Ressourcen klappt nicht; Nebenbei-Innovation auch nicht. Das macht die Herausforderung aus.
Sind Erprobungsräume die Rettung?
Thomas Schlegel: Einfache „Rettungen“ gibt es in komplexen Zeiten nicht. Aber ich halte die Logik dahinter für alternativlos: Als (Landes)Kirche Räume öffnen, wo Menschen ihre Ideen vor ihrer Haustür ausprobieren können. Diese Versuche sollten gut begleitet werden: finanziell, juristisch, wissenschaftlich. Daneben müssen Lernerfahrungen ermöglicht und Menschen vernetzt werden. Das ist das Hauptgeschäft der steuernden Ebenen.
Wer tummelt sich in den Erprobungsräumen?
Thomas Schlegel: Das sind unterschiedliche Akteure: Vereine, Privatpersonen, Gemeinden, Bezirke, CVJMs … In vielen DDR-Plattenbausiedlungen gibt es inzwischen Gruppen, die soziale Arbeit anbieten, christliche Werte vermitteln und so das Evangelium kommunizieren. Zum Beispiel bei Jumpers in Gera: Da gibt es Hausaufgabenbetreuung, Sportangebote, Sprachkurse mit Geflüchteten, Kochen und vor allem eine verlässliche Gemeinschaft! Hier fließen Kirche und Diakonie natürlich ineinander. Kirche ist in diesen Wohnsiedlungen faktisch sonst nicht mehr präsent. Was in ländlichen Gebieten häufiger um sich greift: Mobile Arbeitsformen, exemplarisches Arbeiten, Kleingottesdienst am Tisch usw. Manches scheitert auch. Da schaut unsere wissenschaftliche Begleitung gerade genauer hin: Denn daraus wollen wir lernen.
Die Aktionen richten sich an Nichtmitglieder?
Thomas Schlegel: An die, bei denen die Arbeit ankommt. Das Thema „Mitgliedschaft“ ist eher bedeutungslos. Wenn wir andere Finanzquellen auftun, ist das auch nicht mehr erforderlich. Aber ja: In so einem Konzept müssen die Beteiligten den Gürtel enger schnallen; das Geld wird knapper.
Gab es Widerstände?
Thomas Schlegel: Anfangs wurde das Projekt belächelt: „Wieder so eine neue Idee. Davon hatten wir doch schon genug.“. Als das Programm Energie entfaltete, rieben sich vor allem die Verfechter der Parochie. Sie sahen das Programm als Alternative und fürchteten um ihre Pfründe. Es geht aber nicht um Alternativen, sondern um Ergänzung; um eine Mixed Ecology. Inzwischen spüren bei uns die meisten, dass wir das ernst meinen und niemanden etwas wegnehmen.
Was hat das Team beflügelt, nicht nur am alten System herumzudoktern?
Thomas Schlegel: Im Grund ist es für uns immer ein geistlicher Prozess gewesen: Abraham hat uns sehr angesprochen. „Brich auf in ein Land, das du nicht kennst (ohne dass du die Sicherheit vergangener Zeiten mitnehmen kannst).“ Das hat uns geleitet und inspiriert. Es wird anders sein und trotzdem werden wir dort gut wohnen können. Wir spüren Verheißung. Wir brauchen außerdem Demut, um die alten Privilegien fröhlich aufzugeben. Lasst uns mutig sein im Träumen!
Ist Ihr Konzept auf andere Landeskirchen übertragbar?
Thomas Schlegel: Die Idee, Erprobungsräume zu öffnen, ist für alle was. Das wird überall unterschiedlich aussehen und das ist auch gut so.
Wagen Sie einen Blick in die badische Glaskugel?
Thomas Schlegel: Nein. Ich glaube nur, dass es viel Freiheit in allem Umbauen geben muss. Das sehen wir auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Jetzt alles gleichzuschalten, das nützt wenig. Von einer Top-Down Lösung halte ich ebenfalls nichts. Es wird unsicherer und kleiner, bunter und kreativer zugehen müssen. Ich wünsche der EKIBA dabei viel Mut und Gelassenheit.
Die Fragen stellte Sabine Eigel für ekiba intern (Mai 2025)