Ein König fackelt nicht lange. Ein echter König duldet keine Kritik. Wenn er seine Widersacher nicht körperlich vernichten kann, macht er sie mundtot. Diskriminieren. Zensieren. Ausbürgern. So dokumentiert in der Bibel (Jer 36). Jojakim heißt der König. Er lässt Krieg führen. Sein kleines Land Juda sieht sich der übermächtigen Armee der Babylonier gegenüber.
Anstatt nach Frieden zu suchen, setzt der König auf Gewalt. Die Katastrophe für sein Land und sein Volk ist bereits mit Händen zu greifen. Jerusalem wird dem Erdboden gleichgemacht werden. Der Größenwahn des Königs droht alle ins Verderben zu stürzen.
Des Königs wahres Ziel: von innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken. Die Gebote Gottes, die Regeln für ein Zusammenleben in Würde und Gerechtigkeit, werden im Land mit Füßen getreten. Das soziale Gefüge, auf das der Vater des Königs noch großen Wert gelegt hat, ist außer Kontrolle.Schuldsklaverei und Zwangsarbeit halten wieder Einzug. Die Bevölkerung ist eingeteilt in Menschen unterschiedlicher Klassen.
Gott beauftragt den Propheten Jeremia, dem König und seinem Ministerrat ins Gewissen zu reden. Jeremia versucht vieles: er predigt amTempel, er unternimmt öffentliche Zeichenhandlungen. Schließlich lässt er Gottes Drohworte schriftlich fixieren. Sein Sekretär Baruch notiert die Warnungen auf einer Schriftrolle.
Das Schreiben kommt dem Ministerrat des Königs zu Ohren. Die engsten Vertrauten des Königs erschrecken. Aber anstatt alles in ihrer MachtStehende zu unternehmen, um das Unheil abzuwenden, verpfeifen sie Jeremia undBaruch beim König. Aus Angst, aus Berechnung, aus Scham, aus Überheblichkeit, aus Feigheit?
Der König lässt sich das Manuskript kommen. Er zerschneidet es Absatz für Absatz und wirft die Streifen ins Feuer. Jeremia und seinen Schreiber erklärt er für vogelfrei.
Das alles ist schon lange her. Und doch so gegenwärtig.
Ich bin dankbar, dass ich die Chance habe, mit Jugendlichen in der Schule über den Wert der freiheitlichen Gesellschaftsordnung zuarbeiten, in der ich glücklicherweise groß und inzwischen schon etwas älter geworden bin. Ich will alles tun, um lebensfeindliche autoritäre Strukturen zu verhindern.
Vor 2600 Jahren gab es im Königreich Juda keine formalisierte zweite, dritte oder vierte Instanz. Die Bedeutung von außer/parlamentarischer Opposition, von Gerichten und der Presse ist m.E. nichthoch genug einzuschätzen. Wir tun als Christen gut daran, deren Wert zu verteidigen – im Wissen darum, dass auch unsere Kirchen in weltlichenStrukturen organisiert sind. Wir haben als Christen den Auftrag, die heilsameBotschaft der biblischen Propheten weiterzutragen.
Dietrich Bonhoeffer hat in dieser Tradition angesichts totalitärer Entwicklungen schon 1933 gefordert und dafür später ein Predigtverbot erhalten: Christen müssen die staatlichen Organe an ihreVerantwortung erinnern, sich notfalls um die Opfer illegitimen staatlichen Handelns kümmern und im äußersten Fall auch „dem Rad der Geschichte in die Speichen fallen“.
Martin Lilje, Schuldekan für den Evangelischen Kirchenbezirk Konstanz