Semper Reformanda

Semper Reformanda

Die Kirche steht unter Druck. Die jüngsten Untersuchungen führen ungeschminkt vor Augen, wo die Herausforderungen liegen. Vertrauen ist verloren gegangen. Bindung schwindet. Auch die Gesellschaft hat sich verändert. Der stetige Reformdruck wird von vielen Menschen in der Kirche als große Last empfunden. Gottesdienste, Personal, Gebäude … alles scheint in Bewegung zu sein.

Doch dieser Druckist nicht neu. Ein Blick in die Kirchengeschichte macht deutlich: Veränderunggehört zum Wesen der Kirche. Schon der Apostel Paulus erinnerte die bunteGemeinde in Korinth daran, dass die Kirche ein Leib ist – mit vielen Gliedern,die gemeinsam wirken und die Dinge zum Guten verändern sollen (vgl. 1.Kor 12).Leider hat das in der Praxis nicht immer gut funktioniert.

Im 16. Jahrhundertmachte Martin Luther einige Missstände der Kirche öffentlich. Er war derÜberzeugung, dass die Kirche sich dauerhaft neu ausrichten müsse. Reformen sindseither keine Ausnahme, sondern ein Grundprinzip: „ecclesia semperreformanda est“ – die Kirche ist immer zu reformieren. Soweit die Theorie!

SobaldVeränderungen konkret werden, gehen die Meinungen jedoch auseinander. Es wirdgerungen, gezögert, gefürchtet. Luther ließ sich nicht entmutigen. Er sehntesich nach Reformen, die das Evangelium von Jesus Christus möglichst allenMenschen zugänglich machten. Auch für Menschen in kritischer Distanz. Soschrieb er 1526 in der Vorrede zur Deutschen Messe: „Um dieser willen mussman lesen, singen, predigen, schreiben und dichten, und wenn es hilfreich underforderlich dafür wäre, wollte ich mit allen Glocken dazu läuten lassen undmit allen Orgeln pfeifen und alles klingen lassen, was klingen kann.

Luthers Begeisterung waransteckend. Die Botschaft von der Liebe Gottes war ihm zu kostbar, um sie nurzu verwalten. Sie verdiente Kreativität, Leidenschaft, Wagemut.

Natürlich lösten solcheGedanken damals Sorgen und Kritik aus. Wie soll das Gelingen? Wie vielVeränderung hält die Kirche aus?

Luthers Antwort war klar.In einem Brief an seinen Mitstreiter Philipp Melanchthon vom 27. Juni 1530schrieb er: „Deine elenden Sorgen, von denen Du, wie Du schreibst, verzehrtwirst, hasse ich von Herzen. Dass sie in deinem Herzen regieren, ist nicht dergroßen Sache, sondern unseres großen Unglaubens Schuld. ... Was marterst DuDich selbst so ohne Unterlass? ... Ich bete wahrlich mit Fleiß für Dich, und estut mir weh, dass Du unverbesserlicher Sorgen-Blutegel meine Gebete sovergeblich machst. Ich bin wenigstens, was die Sache angeht – ob es Dummheitist oder der Geist, mag Christus sehen – nicht sonderlich beunruhigt, vielmehrbesserer Hoffnung, als ich zu sein gehofft hatte.

Vielleicht ist dasdie Kernbotschaft des Reformationstages am 31. Oktober 2025. Im Vertrauen aufden Herrn der Kirche nicht die Sorgen regieren lassen, sondern der HoffnungRaum geben. Unsere Zeit braucht Hoffnung. Am Ende geht es bei allen Reformennicht um eine Institution, sondern darum, dass die Liebe Gottes sich in derKirche und in der ganzen Stadtgesellschaft ausbreitet und bei allen politischenund auch kirchlichen Kontroversen den Ton angibt.

 

Markus Weimer (Dekan des Ev. Kirchenbezirks Konstanz)

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