Die Ehrenrettung der Zöllner

Die Ehrenrettung der Zöllner

Er ist klein. Die Leute drängen sich entlang der Hauptstraße. Sie lassen ihn nicht durch. Sie versperren ihm die Sicht. Also klettert er auf einen Baum am Straßenrand. Von der Astgabel aus sieht er gut. Er ist neugierig. Er will Jesus sehen. Es ist Zeit für eine Ehrenrettung der Zolleintreiber. Zachäus ist einer der reichsten Männer Jerichos. Er hat das Zollamt von den Römern gepachtet. Seine Angestellten sitzen an allen Stadttoren und erheben die Gebühren (Lk 19, 1-10).

Menschen zahlen ungerne Steuern oder Abgaben. Das ist in der Antike schon so. Die römischen Kaiser besteuern landwirtschaftliche Produkte und Grundbesitz. Die Fürsten treiben diese Gelder in den Provinzen ein. ZurAufrechterhaltung der Ordnung im Reich benutzen die Römer die lokalen städtischen Eliten. In Palästina arbeiten die römischen Statthalter mit den jüdischen Königen zusammen. Mittels einer legendär gewordenen Volkszählung erheben sie außerplanmäßig die Daten für eine Kopfsteuer. Jede und jeder muss zahlen; selbst, wenn er kaum etwas besitzt. Zu ihrer Bereicherung konfiszieren dieMächtigen sogar Schätze aus dem Jerusalem Tempel – das führt schließlich zumVolksaufstand.

Jesus ist dem römischen Steuersystem gegenüber ambivalent. Sein Ziel ist eine Gesellschaft, in der alle auf ihre Kosten kommen. In der niemand Angst vor dem nächsten Tag haben muss. Das spiegelt sich in vielen seiner Gleichnisse. Gewiss überzeichnet der Evangelist Lukas die Rolle derZöllner. Sie sind in neutestamentlicher Zeit in das römische Fiskalsystem eingebunden. Sie rangieren seit jeher in der zweiten, vielleicht sogar nur in der dritten Reihe. Aber die Bürger reagieren sich an ihnen ab; anders als die Landesfürsten leben sie vor Ort und sind bekannt. Zöllner haben in derBevölkerung einen miserablen Ruf, gleich dem von Dieben und Prostituierten. Jesus hat einen anderen Blick auf sie. Er gewinnt sie für seine Sache. Er sieht im Vorbeigehen den kleingewachsenen Zachäus auf dem Baum. Er könnte sich über ihn lustig machen. Ihn vor aller Augen bloßstellen. Stattdessen ruft er ihn vom Baum herunter und lädt sich bei ihm zum Essen ein. Er blendet das Murren der Menge aus. Jesus entdeckt in Zachäus das Potential zur Veränderung. Der Zöllnergibt schließlich die Hälfte seines Vermögens an die Armen. Er erstattet denen,die er mit Inkassoverfahren bedroht hat, das Vierfache. Als der Evangelist Lukas diese Erzählung aufschreibt, ist Jericho dem Erdboden gleichgemacht. Lukas antwortet mit der Geschichte von Zachäus auf Fragen der Mitglieder in der jungen christlichen Gemeinde: Wie gehe ich angemessen mit meinem Vermögen um? Der Kirchenlehrer Ambrosius von Mailand legt die Botschaft der Zachäusgeschichte im 4. Jhdt so aus: „Reich zu sein an sich ist ok, aber man muss seinen Reichtum verträglich zu gebrauchen wissen.“

Schuldekan Pfr. Martin Lilje,

Konstanz

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